Das Publikum und der Künstler als Einheit

Die Vorstellung, dass das Publikum eine Art „feindliche Front“ darstellt, ist eine häufige Ursache von Lampenfieber. Dem Publikum wird dabei meist die Rolle des gnadenlosen, objektiven Beurteilers zugewiesen. Doch wenn ich den Blinkwinkel verändere, nämlich weg von der Konfrontation und hin zur Kommunikation, sehen die Dinge gleich ganz anders aus.

Kommunikation statt Konfrontation

Wenn ich mir vor Augen führe, dass die Podiumssituation eine Interaktion mit dem Publikum ist, bei der ich der erste interagierende Reiz bin, bewege ich mich in einem System von Schwingungen und Resonanzen. Gehe ich mit dem Publikum in Resonanz, wird dieses seine Resonanz darauf an mich zurückspielen. Das kann aber nur funktionieren, wenn ich dieses Prinzip bejahe. Dadurch wird das Publikum zu Deinem Resonanzkörper!

 

Dazu muss das Gefühl der Isolation vor dem Publikum aufgebrochen werden. Du stehst nicht allein vor dem Publikum, sondern Du und der Hörer / Zuschauer gehört zusammen und bildet eine Einheit, die vom gleichen Raum umschlossen sind. Du kannst dafür auch ein Bild als Anker nutzen: Ihr seid im selben Raum, ihr atmet dieselbe Luft oder ihr bewegt euch im gleichen Magnetfeld. Dadurch dürftest Du Dich schon weniger einsam fühlen.

Die Einzigartigkeit des Einzelnen im Publikum

Schauen wir uns das Publikum doch mal abseits der Stresssituation an: In einer „normalen“ Situation würde ich manche Menschen sympathisch und andere Menschen weniger sympathisch finden, mit manchen würde ich mich gerne unterhalten, anderen würde ich sicherlich aus dem Weg gehen. Menschen sind unterschiedlich und vielfältig, sowohl äußerlich als auch innerlich. Logisch also, dass jeder Mensch unterschiedlich empfindet, die Dinge unterschiedlich sieht und unterschiedlich hört. Das bedeutet: Was ich für meine Darbietung empfinde, muss nicht unbedingt jeder Mensch im Publikum so empfinden – ich kann also nicht jeden Hörer / Zuschauer zur vollen Resonanz bringen.

 

Bedenke: Die Menschen im Publikum haben unterschiedliche Erfahrungen, waren bei unterschiedlich vielen Auftritten und haben unterschiedliche Erwartungen an die Kunst. Klar, bis zu einem gewissen Punkt sind wir von den Meinungen anderer abhängig, immerhin sind wir soziale Wesen. Frage Dich: Will ich mich und mein Künstlerdasein wirklich von dieser einen Meinung abhängig machen?

Die Kompetenz des Publikums

Würde ich also grundsätzlich versuchen, allen gleich gut zu gefallen? Mit Sicherheit nicht! Der Wunsch ALLEN zu gefallen, würde mich in meinem Charakter – in meinem ganzen Menschsein – einschränken und völlig verwirren. Also warum denke ich dann so auf der Bühne?

 

Von allen Menschen geliebt und anerkannt zu werden ist einfach unmöglich - weder im täglichen Miteinander noch während meines Auftritts. Dieses Verhalten schmälert auch die Möglichkeit die meisten Menschen im Publikum von mir zu überzeugen. Eine weitere, wichtige Frage lautet: Hat dieses spezielle Publikum – ja, jeder einzelne Hörer / Zuschauer – die Kompetenz mir zu bescheinigen, dass ich meine Sache gut oder schlecht, richtig oder falsch mache?

Die Erwartungen des Publikums

Künstler leben häufig in dem Glauben, dass der Besucher eine perfekte, reibungslose Darbietung des Künstlers erwarte. Wäre das der Fall, könnten sich die Menschen zu Hause auch einfach eine CD auflegen oder sich eine Spotify Liste nach ihrem Geschmack zusammenstellen, die Boxen voll aufdrehen und sich auf ihr Sofa setzen. In Wirklichkeit erwartet der Hörer aber kein Konzert, das funktioniert wie Jukebox, in die man etwas Geld einwirft. 

 

Nein, Dein Publikum kommt mit der Erwartung auf eine Bereicherung, eine Unterhaltung, eine Beglückung, auf einen Wert. Alles, was langweilig oder eintönig ist, steht dem entgegen. Versuche es so zu sehen: Dein Publikum setzt einen Wert (Zeit, Anfahrt, Geld etc.) ein, um Dich live zu erleben. Also hat es auch ein Recht darauf, dass Dir die Wichtigkeit Deines Auftritts Lampenfieber beschwert. Kurzum: Das Publikum hat ein Recht auf Dein Lampenfieber, denn es ist Teil des Wertes, für das es bezahlt.

Das Wichtigste in Kürze

Stelle Dir folgende Fragen zur Überprüfung:

  • Will ich mich und mein Künstlerdasein wirklich von einer einzigen Meinung abhängig machen?
  • Würde außerhalb der Podiumssituation versuchen, allen gleich gut zu gefallen?
  • Wenn nein, warum dann während meines Auftritts?
  • Hat dieses spezielle Publikum – ja, jeder einzelne Hörer / Zuschauer – die Kompetenz mir zu bescheinigen, dass ich meine Sache gut oder schlecht, richtig oder falsch mache?

 

Fazit

  • Jeder Mensch nimmt anders wahr. Dein Publikum nimmt also nicht unbedingt das gleiche wahr wie Du.
  • Von allen Menschen geliebt und anerkannt zu werden ist einfach unmöglich.
  • Das Publikum hat ein Recht auf Dein Lampenfieber.
  • Kommunikation statt Konfrontation.
  • Das Publikum ist Dein Resonanzkörper.

 

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